Renaissance 4.0

Dezember 5, 2016

Nachdem diverse Wirtschaftsgurus und Digitalisierungsfreaks permanent das Schlagwort „Industrie 4.0“ im Munde führen, habe ich mir gedacht, dass es eigentlich an der Zeit wäre, im Gegenzug von einer Renaissance 4.0 zu reden, einer „Wiedergeburt“ der klassischen Werte und Zielsetzungen, des Humanismus, eine Rückbesinnung auf das im Mittelpunkt stehende Menschliche.

Ich habe im Internet gesucht. Und siehe da, es gibt im Internet tatsächlich einen link mit dem Titel „Renaissance 4.0“.

http://kunstwissenschaft.hfg-karlsruhe.de/lehre/globale-renaissance-40

Doch was für eine herbe Enttäuschung, wenn man in den verlinkten Text hineinschaut. Kostprobe:
„Betrachtet man die Globalisierung unter dem Aspekt des systemtheoretischen re-entry, dann bedeutet sie auch die Umschrift von Tradition. Es kommt zu einem Remix von zum Teil disparaten Codes,einem kulturellen Mashup von Wissen und Praktiken in globalem Maßstab. Diese Operationen beruhen auf dem Renaissanceprinzip und zielen darauf, Legitimität herzustellen; im Fall der Kunst gleichlautend mit der Selbsteinschreibung in den Kanon des Kunstsystems. Wie schon in der ersten Phase der kolonialen Globalisierung, findet ein Übersprung vom kontinentalen zum globalen Handlungsraum statt.“

Irgendwelche Fragen?

„Industrie 4.0“

Dezember 3, 2016

Im Zeitalter der Informationsüberflutung werden gerne Schlagworte geprägt, mit denen man erfolgreich in den medientechnischen Kampf ziehen kann.

„Industrie 4.0“ ist ein solches Schlagwort.

Eigentlich ist es ein „Meta“-Schlagwort, ein übergreifendes Schlagwort, das eine Vielzahl von weiteren Schlagwörtern umfasst und bündelt.

Das wird deutlich, wenn man z.B. die Erklärungen zu „Industrie 4.0“ in Gablers Wirtschaftslexikon ansieht:

http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/industrie-4-0.html

Da ist von „Hightech-Strategie“, „Hybridisierung der Produkte“, „teilautonomen Maschinen“, „3D-Druckern“, „cyber-physischen Systemen“ und nicht zuletzt vom viel strapazierten „Internet der Dinge“ die Rede.

Es versteht sich von selbst, dass die interessierten Wirtschaftskreise zunehmend von der „Industrie 4.0“ schwärmen und gleichzeitig damit drohen, dass unser Wohlstand gefährdet sei, wenn nicht schnell mit der Digitalisierung und Internetisierung der Wirtschaft und Produktion Ernst gemacht werde, um im Wettbewerb bestehen zu können.

Das Bundeswirtschaftsministerium (Chef: Der SPD-Parteivorsitzende) stösst laut ins Horn:

https://www.bmwi.de/DE/Themen/Industrie/industrie-4-0.html

Die Bundesregierung trompetet:

http://www.hightech-strategie.de/de/Industrie-4-0-59.php

Auch die Forschung und Entwicklung engagiert sich heftig:

https://www.fraunhofer.de/de/forschung/forschungsfelder/produktion-dienstleistung/industrie-4-0.html

Selbstverständlich sind alle wichtigen Adressen der Wirtschaft dabei, z.B.:

http://www.siemens.com/entry/de/de/ingenuity-for-life/optima/

Da geht manchmal ein wenig unter, worum es eigentlich geht. Es geht um die Menschen, insbesondere die (noch) beschäftigten Arbeitnehmer und Angestellten, diejenigen, die nur ihre Arbeit anzubieten haben, die nicht mit ihrem Kapital in andere Weltgegenden flüchten können, die keine Steuerparadiese kennen und nutzen.

Den Siemens-Chef Joe Kaeser hat schon eine Ahnung beschlichen, wenn er neuerdings über das bedingungslose Grundeinkommen nachdenkt, wie es auch die Digitalisierungs-Matadore aus dem Silicon Valley tun:

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sz-wirtschaftsgipfel-siemens-chef-plaediert-fuer-ein-grundeinkommen-1.3257958

Auch die Gewerkschaften beschleichen gemischte Gefühle, wenn sie an die propagierte Entwicklung denken:

https://www.igmetall.de/industrie-4-0-12783.htm

Zurück zu der eingangs erwähnten Erklärung aus Gablers Wirtschaftslexikon sollte man sich den letzten Absatz genauer anschauen:

3. Kritik und Ausblick: Als Marketingbegriff entzieht sich „Industrie 4.0“ – wie „Web 2.0“ und „Web 3.0“ – ein Stück weit einer wissenschaftlichen Präzisierung. Die Frage ist, was man zur Industrie zählt, was als Industrialisierung bezeichnet werden und ob Industrialisierung (die mit Kommerzialisierung verbunden sein mag) ein wertendes Konzept bedeuten kann. Vorteilhaft sind u.a. Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz, Verbesserung von Ergonomie und Erhöhung von (bestimmten Formen der) Sicherheit. Nachteilig ist, dass die komplexen Strukturen der Industrie 4.0 hochgradig anfällig sind. Autonome Systeme können sich falsch entscheiden, entweder weil sie unpassende Regeln befolgen oder Situationen und Vorgänge unkorrekt interpretieren. Sie können Menschen verletzen und Unfälle verursachen, was die soziale Robotik allerdings gezielt zu bekämpfen versucht. Automatisierte Entscheidungen in moralischer Hinsicht, mithin die damit zusammenhängenden Probleme, sind Thema der Maschinenethik. Die Informationsethik beschäftigt sich damit, dass die Systeme manipuliert und gehackt, dass sie falsche Daten benutzen und falsche Informationen liefern und in feindlicher Weise übernommen werden können. In selbstständig fahrenden Autos und in vernetzten Häusern (Smart Living) werden wir zu gläsernen Bürgern, angesichts medizinischer Roboter und elektronischer Akten zu gläsernen Patienten. Die Arbeitsethik kommt hinzu, wenn es um die Ersetzung von Arbeits- und Fachkräften durch (teil-) autonome Maschinen geht.

Der Brexit und Erfolg von Donald Trump lassen grüssen.

Am 29. April hat der Korrespondent Thomas Schulz vom Spiegel aus San Francisco bei SPON unter dem Titel „Maschinen verdrängen Menschen“ über Erkenntnisse aus den USA berichtet, dass die zunehmende Technisierung, Automatisierung und Digitalisierung immer mehr Menschen arbeitslos macht, in niedrigere Einkommensklassen abdrängt und damit entwerte, während die Kapitalbesitzer, die für Investitionen das Geld bereitstellen, und die Unternehmer und Unternehmensführer, die von der gestiegenen Produktivität profitieren, immer reicher werden.

Man kann im Fussball-Jargon auch sagen: Kapital gegen Arbeit 1:0

Thomas Schulz schreibt:
Es gibt wenige Orte auf der Welt, die so technologiefreundlich und fortschrittsgläubig sind wie das Massachusetts Institute of Technology (MIT). Aber ausgerechnet von hier kommt nun eine eindringliche Warnung: Die digitale Revolution wird zum globalen Problem für die Arbeitsmärkte, denn sie vernichtet Jobs schneller als sie neue schafft. Die Folge: Dauerhaft höhere Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne – wie in den USA bereits jetzt der Fall. Es droht „eine tektonische Verschiebung in der Arbeitswelt“, warnt Andrew McAfee, Direktor am Center for Digital Business des MIT.

Wie wird die Entwicklung von verschiedenen Fachleuten in den USA gesehen?

Der von Thomas Schulz zitierte Andrew McAfee, der sich in einem TED-Vortrag optimistisch über die digitale Zukunft geäußert hat (http://www.ted.com/talks/andrew_mcafee_are_droids_taking_our_jobs.html), hat zusammen mit Erik Brynjolfsson ein Buch, „Race against the machines“, von dem Auszüge in der Zeitung „The Atlantic“ abgedruckt sind (http://www.theatlantic.com/business/archive/2011/10/why-workers-are-losing-the-war-against-machines/247278/).

Für die beiden Autoren ist die Bedrohung durch eine Technologe-bedingte Arbeitslosigkeit real. Sie definieren drei sich überlappende Paare von Gewinnern und Verlierern, nämlich (1) gut ausgebildete gegenüber schlecht ausgebildeten Arbeitern, (2) Superstars gegenüber allen Anderen, und (3) Kapital gegenüber Arbeit. Diese Paare sind gut dokumentiert und haben klare Verbindungen zur digitalen Technologie, wobei diese Paare sich gegenseitig nicht ausschließen. Tatsächlich sind die Gewinner eines Paares wahrscheinlich auch Gewinner in den anderen Paare, wodurch sich die Folgen verstärken.

Für das erste Paar, gut ausgebildete gegenüber schlecht ausgebildeten Arbeitern, lässt sich die Situation besonders anschaulich an dem nachfolgenden Diagramm ablesen, das die Entwicklung der „normalen“ Löhne in den USA von 1963-2008 in Abhängigkeit von der Schulausbildung zeigt. Während sich die Löhne der Abgänger von einer höherwertige Graduate School fast stetig nach oben bewegt haben, sind die Löhne der Schulabbrecher (High School Dropouts) ab etwa 1973 gesunken.

Diagramm 1

Bei dem zweiten Paar, den Superstars gegenüber allen Anderen, haben nach Angaben des Ökonomen Emmanuel Sanchez die oberen 1% der US-Haushalte seit 2002 65% des Wirtschaftswachstums für sich bekommen. Die oberen 0,01% der Haushalte, das sind 14.588 Familien mit einem Einkommen oberhalb 11.477.000 $, haben ihren Anteil am nationalen Einkommen zwischen 1995 und 2007 von 3% auf 6% verdoppelt.

Beim dritten Paar, Kapital gegenüber Arbeit, gibt es immer stärker werdende Hinweise, dass sich das Kapital in den letzten Jahren und Jahrzehnten einen wachsenden Anteil des Bruttosozialprodukts angeeignet hat, wie die nachfolgende Grafik über die wachsenden Unternehmensgewinne deutlich macht.

Diagramm 2

Eine andere Grafik, die nachfolgend wiedergegeben ist, stützt diese Aussage. Sie zeigt (im abschwächenden logarithmischen Massstab das seit den 70er Jahren immer grösser werdende Auseinanderklaffen von Produktivitätssteigerung und Lohnsteigerung (http://www.bls.gov/opub/mlr/2011/01/art3full.pdf).

Diagramm 3

Die durch Maschineneinsatz, Automatisierung und Digitalisierung erzielten Produktivitätsfortschritte kommen immer weniger den Lohnempfängern zugute, dafür in zunehmendem Masse denen, die den Produktivitätsfortschritt finanzieren und im Unternehmen nutzbar machen.

1:0 für das Kapital!

opablog

Der Hauptfeind jedes Volkes steht in seinem eigenen Land!

kosmologelei

über gott und die welt

seltsamewelt

Warum läuft hier auf der Welt alles so seltsam?

Seniors for a Democratic Society

"A decent provision for the poor is the true test of civilization." —Samuel Johnson

Wander Woman Thea

Taste, Travel, Tell

Zero Hedge

observing the world and talking about it

netzpolitik.org

observing the world and talking about it

Querschuesse

observing the world and talking about it