Digitale Welt

Juli 24, 2013

In der FAZ gibt es heute einen lesenswerten Artikel von Evgeny Morozov, einem bekannten amerikanischen Kritiker des ungehemmten Internets unter der Überschrift „Der Preis der Heuchelei“

Auszüge:

„Wir sollten die amerikanische Überwachungssucht also nicht mit Schweigen übergehen. Sie ist eine Realität, sie hat Konsequenzen, und die Welt würde sich einen Gefallen tun, wenn sie Amerika in eine Big-Data-Entzugsklinik einlieferte. Aus der Affäre Snowden gibt es aber noch mehr zu lernen. Einige Mythen, die nur am Rande mit Überwachung zu tun haben, sind ebenfalls geplatzt; etwa der von den angeblichen Vorteilen einer dezentralisierten und kommerziell betriebenen digitalen Infrastruktur, vom aktuellen Stand der technologisch vermittelten Geopolitik, von der Existenz einer eigenen Welt namens „Cyberspace“. Wir müssen wissen, wo wir stehen, und darüber nachdenken, was uns schon bald erwartet, wenn wir uns nicht mit den Verlockungen des Datenkonsums auseinandersetzen.

„Das ist das Amerika von heute in seiner ganzen Pracht: Was nicht durch kontroverse Gesetze zu erreichen ist, wird durch Privatisierung erreicht, allerdings mit deutlich weniger Regulierung und staatlicher Kontrolle. Von privatisierten medizinischen Einrichtungen über privatisierte Gefängnisse bis hin zu privatisierten Milizen, die in Kriegsgebiete entsandt werden – dies ist das Modell der Public-Private-Partnership, an dem sich große Teile der amerikanischen Infrastruktur orientieren, auch der Kommunikationssektor. Dezentralisierung ist aber nur dann positiv, solange es keinen mächtigen Akteur gibt, der den Profit einstreicht. Wenn es solche Akteure gibt, wie in diesem Fall die NSA, ist Dezentralisierung bloß ein Schlagwort. Die Mächtigen bekommen mehr von dem, was sie haben wollen, es geht schneller, und sie müssen weniger dafür bezahlen.“

Angenommen, Europa zwingt den amerikanischen IT-Unternehmen alle Gesetze auf, die sich nur wünscht. Angesichts der wachsenden Macht dieser Unternehmen in Brüssel ist das eine sehr hypothetische Annahme, aber lassen wir das einmal beiseite. Was wird in fünf Jahren sein, wenn alle Dinge und Apparate „intelligent“ sind und untereinander und mit dem Internet verbunden sind? Viele solcher Dinge sind bereits auf dem Markt, und bald werden es sehr viel mehr sein: intelligente Gabeln, die beobachten, wie schnell wir essen, intelligente Zahnbürsten, die sich merken, wie oft wir uns die Zähne putzen, intelligente Schuhe, die uns signalisieren, wann wir sie zum Schuster bringen müssen, intelligente Regenschirme, die uns sagen, wann es regnen wird, und uns auffordern, sie beim Verlassen des Hauses mitzunehmen. Nicht zu vergessen das Smartphone, und bald wird auch die Google-Brille Ihr Gesicht schmücken.

Alle diese Objekte hinterlassen Datenspuren. Man sammle und verknüpfe Daten von mehreren solcher Objekte, dann sind, zumindest technisch, die gleichen Querverbindungen und Voraussagen möglich, wie sie die NSA generiert, indem sie Ihre Telefongespräche und E-Mails überwacht.

Mit anderen Worten: Die NSA kann Ihren Aufenthaltsort ermitteln, indem sie Ihr Handy scannt oder Daten von Ihren intelligenten Schuhen oder Ihrem intelligenten Regenschirm abschöpft. Es braucht auch keine Überwachungskamera in Ihrer Küche, um zu wissen, was Sie gegessen haben; das kann man auch anhand der intelligenten Zahnbürste in Ihrem Badezimmer oder anhand des intelligenten Mülleimers in Ihrer Küche herausfinden. Wenn wir diese neuen Überwachungsmöglichkeiten nicht in unser Kalkül einbeziehen, ist es sinnlos, das sicherste E-Mail-System der Welt oder ein mobiles Internet zu entwickeln. Die NSA wird sich Daten verschaffen, mit deren Hilfe sie ihre Tätigkeit auf andere, kreativere Weise fortführen kann, vielleicht wird sie die Daten sogar auf dem freien Markt kaufen.

Sofern die Affäre Snowden uns zwingt, uns mit diesen Problemen auseinanderzusetzen, ist das gut für die Demokratie. Es ist doch so: Die meisten von uns würden lieber nicht über die ethischen Implikationen von intelligenten Zahnbürsten nachdenken oder über die heuchlerische Rhetorik des Westens gegenüber Iran oder über die Tatsache, dass sich immer mehr europäische Politiker vor Silicon Valley und seiner grauenhaften, gehirnschädigenden Sprache verbeugen. Immerhin sollten wir anerkennen, dass die Krise viel tiefer ist und dass es dabei nicht nur um juristische, sondern auch um intellektuelle Fragen geht. Der Datenkonsum ist, genau wie der Energieverbrauch, eine sehr viel größere Bedrohung für die Demokratie als die NSA.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ueberwachung/ideologie-des-datenkonsums-der-preis-der-heuchelei-12292822.html

Gedanken, die weit über die Snowden-Affäre hinausgehen und dringend weitergedacht werden sollten.

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